Auf dem Wiener Höhenweg

Auf dem Wiener Höhenweg

Da waren es nur noch drei, die am Sonntag, 1. September um 6:00 Uhr von Rottenburg Richtung Inntal-Dreieck durch den Felbertauerntunnel über Lienz nach Iselsberg starteten. Drei Teilnehmer mussten krankheitsbedingt leider absagen. Es blieben also Thomas Leon der Wanderführer, Dagmar Held und Jacques Kehrer.

Trotz Kirchweihfest findet sich der letzte Parkplatz bei der Kirche und los geht’s bei fast tropischen Temperaturen Richtung Winklerner Hütte (1.907 m), dem südlichen Ausgangspunkt des Wiener Höhenwegs im Nationalpark Hohe Tauern. Glücklicherweise bemerkt Thomas schon nach kurzer Wegstrecke, dass er seinen Geldbeutel nach der Mautstelle nicht wieder eingesteckt hatte und er noch im Auto lag. Also nochmal zurück, allerdings ohne Gepäck. Unterwegs Pferde, Kühe und viele E-Mountainbiker auf dem Rückweg von ihren Tagestouren. Die Kleine Hütte mit nur einem großen Matratzenlager füllt sich gegen Spätnachmittag. Zwei junge dynamische Frauen managen das Ganze einschließlich sehr guter Verpflegung zur allgemeinen Zufriedenheit. In der Nacht Regen und angenehme Abkühlung. Wir warten noch kurz nach dem Frühstück, bis der Regen aufhört und verlassen als letzte Gruppe die Hütte.

Am Montag über Almwege, an zwei Almen und einem Brunnen vorbei geht’s weiter, bis der Anstieg in vielen Kehren steiler wird und wir über einen Gratrücken zur Oberen Seescharte (2.604 m) gelangen. Von einer Bank mit einem von Wind und Wetter sehr angegriffenen Passkreuz eröffnet sich uns ein herrlicher Rundblick auf die Lienzer Dolomiten und den tiefblauen Wangenitzsee mit der am Ufer gelegenen Wangenitzseehütte (2.508 m). Hinunter geht’s über eine kurze seilgesicherte Passage, dann eine imposante kleine Hängebrücke. Erst auf den letzten 200 m setzt Regen ein, das nennt man perfektes Timing. Die Hütte – ein absolutes Alleinstellungsmerkmal – gehört dem „Königlich Niederländischen Kletter- und Bergsportverein“, sicher der höchste Punkt der Niederlande überhaupt. Es schüttet, wird neblig, man weiß jetzt ein holländische Hütte zu schätzen. Am Tisch treffen wir Sylvia und Hans-Jürgen aus Riesa in Sachsen, die auch schon mit uns auf der Winklerner Hütte waren. Wir kommen ins Gespräch und vereinbaren, dass wir die weiteren Etappen mehr oder weniger gemeinsam angehen werden. In der Nacht hört der Regen auf, herrlicher Sternenhimmel.

Dienstag um 8:30 bei strahlendem Sonnenschein und ungewohnter Kälte Aufbruch von der Hütte in Richtung Kreuzscharte (2.810 m), dort kurze Vesperpause mit zwei ziemlich aufdringlichen Schafen, die unbedingt mitvespern wollen. Ein letzter Blick auf die Wangenitzer Seen, dann geht’s über den Hauptkamm der Schobergruppe hinüber und eine sehr schattige Felsrampe mit gut angelegtem Felsensteig hinunter. Teilweise sind die Steine vereist, also Vorsicht und Handschuhe sind hier kein Luxus. Über ein mit großen Blöcken bedeckte Kar geht’s weiter Richtung Niedere Gradenscharte (2.803 m). Der Weg wird allmählich steiler, bis das letzte Stück bis zur Scharte mit Hilfe von Stahlseil und Trittklammern bewältigt wird. Oben auf einem kleinen flachen Plateau sind viele kleine Seen zum Teil mit Schneeresten. Einer davon motiviert Thomas zu einem allerdings sehr kurzen Bad, sozusagen als Vorbereitung für die Ersteigung des Keeskopfs (3081 m), der direkt am Weg liegt. Dagmar begleitet ihn, ich mache es mir derweilen in einer windgeschützten Felsnische gemütlich und lese in der Sonne, bis die beiden in Rekordzeit wieder da sind. Inzwischen kommt auch die 7-köpfige Gruppe aus München vom Gipfel zurück, die uns schon seit der Winklerner Hütte auf den Fersen ist und sich durch ein ziemlich ich-bezogenes Verhalten auszeichnet, das sich auch nicht im Verlauf der Tour wesentlich ändern wird. Mit frischer Kraft geht’s über große, glatte Gletscherschliffplatten hinunter zur Noßberger Hütte (2.488 m) , die von oben mit dem türkisfarbenen See wie eine Modelleisenbahn-Landschaft aussieht. Dort angekommen gibt’s erstmal Kaffee und Kuchen und Kaltgetränke auf der kleinen Hüttenterrasse. Ein richtiger Sommernachmittag; bis die Sonne verschwindet und es langsam kühl wird. Die Hütte – seinerzeit von einem Wiener Lehrerverein erbaut – wird derzeit von einem ehemaligen Spitzenkoch zusammen mit seiner Freundin betrieben, entsprechend auch die Qualität des Essens. Auf unsere Nachfrage über die Gründe dieses doch ungewöhnlichen Wechsels erzählt er vom jahrelangen Stress in der Spitzengastronomie und dem vergleichsweise doch übersichtlicheren Bewirtschaften einer kleinen Hütte trotz der damit verbundenen Anstrengungen. Zudem könne er nach Hüttenschluss im Herbst unbeschwert mit Freundin und Hund im Wohnmobil für längere Zeit nach Süden ans Mittelmeer aufbrechen.

Am Mittwoch nutzen wir das schöne Wetter und gehen früh los, um Zeit für das schwierigste Teilstück unserer Route zu haben. Zunächst nehmen wir den falschen Weg, bemerken dies aber rechtzeitig und können unseren nachfolgenden sächsischen Freunden einige Höhenmeter ersparen, was bei dem vor uns liegenden Anstieg kein Fehler ist. Theoretisch gibt es zwei Scharten für den Übergang zur Elberfelder Hütte, wobei derzeit die Klammerscharte wegen Steinschlaggefahr nicht begehbar ist und deshalb auch die Wegmarkierungen sicherheitshalber entfernt wurden. Bleibt also die Hornscharte (2.958 m) mit einem extrem steilen Zugang über Geröll und Blöcke, der viel Kraft kostet. In der steilen Rinne selbst liegen jede Menge nicht vertrauenerweckender loser Steine, sodass man froh ist, wenn man die rechte Felsflanke erreicht hat. An dieser führt ein zwar ausgesetzter, aber hervorragend mit Stahlseilen und Trittklammern versicherter, griffiger Steig der immer mehrere Meter über der Rinne steil nach oben zur Scharte führt. Eine kurze Pause zum Kräftesammeln, dann geht’s auf der anderen Seite die Scharte hinunter, zwar auch sehr brüchig, aber nicht so steil und ebenfalls gut versichert. Ein längeres Blockfeld schließt sich an, dann endlich ein etwas bequemerer Weg und die Elberfelder Hütte (2.346 m) kommt in Sicht. Auf halber Strecke eine längere Vesperpause in der warmen Sonne. Auf der Hütte wieder Kaffee und Kuchen auf der windgeschützten Sonnenseite. Das Abendessen ist diesmal bei weitem nicht so kulinarisch wie am Vortag, dafür wird gewürfelt was das Zeug hält. Einige Sektionsmitglieder machen draußen ein Lagerfeuer, das aber anfänglich nicht so recht brennen will, wir ziehen die doch wärmere Gaststube vor.

Das Frühstück am Donnerstag mit Nescafe ist auch nicht überwältigend, dafür ganz schön teuer. Dafür entschädigt uns ein sehr schöner Weg zum Kesselkeessattel (2.926 m), lediglich das letzte Stück ist mit einem Stahlseil zu bewältigen. Oben am Sattel steht zur Sicherheit vor plötzlichen Wetterumschwüngen eine Biwakschachtel, da diese Etappe doch sehr lang ist. Am gestrigen Nachmittag stiegen noch zwei Leute mit Proviant versehen auf, um die Nacht dort zu verbringen. Den Aufstieg zum Bösen Weibel (3.121 m) verkneifen wir uns, weil vor uns schon die ersten Wolken aufziehen und wir auf jeden Fall die Glorer Hütte trocken erreichen wollen. Außerdem hätten wir ja – wie böse Zungen scherzhaft behaupten – notfalls ein Pendant in unserer Gruppe. Also zügig Richtung Hütte, die Gesteinsarten ändern sich von dunkel nach hell, die Schobergruppe liegt jetzt hinter uns und wir befinden uns im sogenannten „Tauernfenster“, einem geologischen Fenster, in dem verschiedene Gesteinsarten nebeneinander an der Oberfläche anzutreffen sind. Vor der Glorer Hütte (2.642 m) letztmalig Kaffee im Freien, bizarre Wolkenformationen bauen sich in allen Himmelsrichtungen auf, es wird kalt und ungemütlich, noch ein kurzer Ausflug auf eine Erhebung neben der Hütte mit grandioser Rundumsicht und dann hinein in die geheizte Gaststube, draußen aufziehender Regen und wechselnde Nebelschwaden. Am Abend ein hervorragendes Essen und nochmals gewürfelt, es ist unglaublich was für ein Glück unser Hans-Jürgen hat.

Freitag. Verlängertes Frühstück bis der Regen etwas nachlässt, dann geht’s in Regenkleidung abwärts mit einem kurzen Einkehrschwung in die Salmhütte (2.638 m). Der heute noch erkennbare Urbau wurde 1800 als Ausgangspunkt für die Erstbesteigung des Großglockners errichtet. Dann weiter durchs Leitertal, vorbei an Kühen und Pferden, unter uns in einer beindruckenden Klamm der Leiterbach, bis sich der Weg Richtung Heiligenblut bzw. Glocknerhaus gabelt. Wir nehmen letzteren und nach einem kurzen Anstieg zur Stockerscharte geht’s hinab zum Margaritzenspeicher über zwei Dammkronen hinweg und mit einem letzten Anstieg hinauf zum Glocknerhaus (2.123 m) dem Endpunkt der Wiener Höhenwegs. Dort treffen mit der Zeit verschiedene Bergsteigergruppen ein, die entweder auch am Ende ihrer Touren sind oder wegen der schlechten Wetterprognose ihre Tour abbrechen, denn für die nächsten Tage ist Schneefall bis in tiefere Lagen angekündigt.

Samstag.  Beim letzten Frühstück nehmen wir noch drei Holländer an unserem Tisch auf, die von besagter Münchner Gruppe rüde von ihrem Tisch vertrieben wurden und zu Recht stinkesauer sind. Es gelingt uns mit unseren schwäbischen und sächsischen kommunikativen Fähigkeiten dem entstandenen Negativbild der Deutschen  etwas entgegenzusetzen. 9:30 Uhr kommt das Taxi, das uns zurück nach Iselsberg bringt, in Winklern verabschieden wir uns von unseren sächsischen Freunden und kommen nach einer glücklicherweise staufreien Fahrt vollzählig und ohne jegliche Verletzung gegen 17:00 in Rottenburg an.


Termin: 1.-7- September 2019
Organisation/Führung: Thomas Leon
Teilnehmer: kuckste hier

Bericht: Jaques Kehrer