Vom Rätikon in die Silvretta

Mittags auf die Mittagsspitze, abends an den Kachelofen

Noch vor dem Sonnenaufgang setzte sich unser Mehrgenerationen-Team mit einem „Tübinger Teilauto“, das Friedbert glücklicherweise für unsere Tour ergattern konnte, in Bewegung. Bei der Fahrt in den Morgen über die Schwäbische Alb zeigte sich bald die Sonne und versprach uns einen wolkenlosen, warmen Spätsommertag. Nach einigen verregneten Bergtouren in diesem Sommer, hatten wir acht Teilnehmer dieses Königswetter redlich verdient und waren voller Vorfreude auf sonnige Tage im Rätikon. Unser Youngster Philipp zog, kaum dass wir losgefahren waren, die Süße seiner Träume vor und war bis zum ersten Kaffeestopp gut ausgeschlafen.

Bei der kurzweiligen Fahrt grüßten uns bald die sonnenbeschienenen Berge des Montafons. Mit viel Vorfreude starteten wir schon am Vormittag am Staubecken Latschau unseren Aufstieg von 1.300 Höhenmetern, die gefühlt in Falllinie gemeistert werden mussten. Als sich dann die Mittagsspitze vor uns in voller Schönheit und Größe zeigte (2.168 m), war die Anstrengung des Aufstiegs schon vergessen und fast alle wollten das Gipfelkreuz persönlich aufsuchen. Die Erosion hatte den einst begehbaren Weg zum Gipfel für uns zu einem anspruchsvollen und zeitraubenden Kletterfelsen gemacht, wobei das Runterklettern eine größere Herausforderung darstellte, als das Hochkommen.

Unser freches Hexle, Sofia – emmer a schwäbischs Witzle uff de Lippe, immer grenzwertige Sprüch’, ond nur still, wenn’s lang, steil d’Berg nuff goht, aber Tourenfavoritin im Chicago Würfelspiel – rollte das Feld von hinten auf. Konnte sie den langen vorherigen Aufstieg fast nicht verschnaufen, hing sie jetzt im steilen Geröll an der Mittagsspitze und musste unbedingt zum Gipfelkreuz hoch.

Tschaggunser Mittagsspitze (2168 m)

Adelinde, unsere Bergführerin, versprach uns nach diesem zähen Aufstieg fast einen Spaziergang bis zur Tilisunahütte auf 2.211 m. Aber die vielen Auf und Ab‘s dazwischen ließen uns nach dieser ersten knackigen Tour erst um 17 Uhr bei der freundlichen Wirtin bei Kaffee und Kuchen Erholung finden. In einem neu renovierten Zimmer fanden wir alle acht zusammen bequeme, breite Matratzen, warme Duschen, Quark-Marillenknödel zum Nachtisch und einen angeheizten Kachelofen. Ja, das war unsere Tour!

Das Farbenspiel am Himmel am frühen Sonntagmorgen über der Silvretta zog die Leute aus der Hütte und jeder wollte die Wolkenformationen aus verschiedenen Ecken fotografieren

Heute sollten (wie von Adelinde versprochen) weniger Höhenmeter mit dem Tagesziel Gargellen (1.400 m) erwandert werden.

Gargellen und Ritzenspitzen

Friedbert, kurz vorher wieder in Sachen Bergführer fortgebildet, wollte in einer Trainingseinheit aufmerksamere Tourengeher aus uns machen und schob nach einem kleinen Aufstieg in geeignetem Gelände einige Programmpunkte ein, wie zum Beispiel:

Ausschwärmen ins Blockgestein, Stehen an steilen Felsplatten…Ferse, Ballen, ganze Sohle, ins Knie gehen, Balance halten, Körperspannung ….

Wir hatten viel Spaß bei den praktischen, lehrreichen Übungen. Im weiteren Gelände bewegten wir uns fortan geschmeidig, wie die Gämse, turnfreudig wie ein Steinbock und endlich mit mehr Sachverstand. Vorbei an der Sulzfluh (2.818 m), wanderten wir über das Sarotlajoch (2.389 m) und auch einige Zeit durch die Schweiz. Bei guter Fernsicht, leckerem Rucksackvesper, schönen Rastplätzen mit gutem Ausblick auf die Schweizer und österreichischen Bergspitzen, konnten unsere Wanderführer sicher die Bergriesen benennen, die sich für mich jedoch, abhängig vom  Standpunkt munter durch die Alpen bewegten und immer wieder an anderen Stellen auftauchten.

Aus dem Rätikon wanderten wir, geschützt mit hohem Lichtschutzfaktor bei Kaiserwetter weiter ins Silvretta-Gebiet. Gargellen erreichten wir natürlich nicht in den ausgeschriebenen zwei Stunden, denn nach einem langen Abstieg, der sich bei mir in die Oberschenkel fraß und einen gehörigen Muskelkater hinterließ, blieben wir die längste Zeit an der heimeligen Alpe Rongg mit ihrer geschäftstüchtigen Wirtin hängen. Für ihre megagroßen Kuchenstücke, von denen es nur noch wenige ab, warb sie lauthals; man bestellte sie, aber am besten gleich mit zwei Gabeln. ;-)

Das Schlimmste ist jedoch wirklich nicht, wenn der Kuchen alle ist, sondern wenn das Handy der Tourenleiterin abgestürzt ist und wichtige Daten nicht mehr frei gibt, wie Impfnachweis, Gasthausbuchungen oder den genau ausgearbeiteten Tourenverlauf! Aber irgendwann hatte Friedbert, der IT Experte, dem Handy wieder Leben eingehaucht und so konnten wir uns in Gargellen (1.400 m) in der richtigen Pension einquartieren. Philipp und Richard angelten sich in der Pension Marmotta das Zimmer mit Yacuzzi, in Dagmars und meinem Badezimmer war eindeutig die kleine Plastikente der Luxus. Aber mit akrobatischen Übungen konnten auch wir zwei eine verdiente Dusche nehmen.

Schon vor halb zehn am Abend, früher als auf den Hütten, setzte uns Sabine aufs Trockene, und so verzogen wir uns auf die Zimmer. Aber ohne mindestens eine Runde Chicago gespielt zu haben, gehen die Rottenburger natürlich nicht ins Bett. Und so ließen wir noch eine gute Stunde, in nicht gerade leiser Runde, die Würfel über den Tisch im Schlafzimmer unserer Bergführer rollen.

Ein später Start, nach einem sehr guten und gemütlichen Frühstück, führte uns am nächsten Tag ins Vergaldener Tal. Wie gut, dass der Schnapsbrunnen an der Alpe Vergalda auf 1.820 m leer war, denn sonst hätten wir danach keine 400 Höhenmeter pro Stunde geschafft. Den leckeren Hartkäse, der in großen Mengen auf der Alpe hergestellt wird, konnten wir leider auch nicht mitnehmen, da dieser in der Sonne und im Rucksack doch sehr gelitten hätte.

Vergalda Joch (2515 m)

Das sonnige, karg bewachsene Tal zog sich im weiteren Verlauf langsam nach oben. So bezwangen wir leicht die Höhenmeter bis zum Vergaldner Joch (2.515 m), wo wir pünktlich zur Mittagszeit eine Pause machten. Gewärmt von der Mittagssonne schmeckten das schon etwas „verdätschte“ Brot und der angelaufene Käse vorzüglich, vor allem auch wegen der fabelhaften Aussicht. Netterweise hatte Adelinde für diesen Tag die kürzere Tour von „nur“ 12 km und mit nur 650 Metern Abstieg gewählt, anstatt alternativ 18 km.

Tiefblick nach Latschau

An der neu renovierten Tübinger Hütte, am Ende des Garneratales, die uns mit nepalesischen Gebetsfahnen schon von weitem entgegen winkte, kamen wir so früh an, dass wir auf der sonnigen Terrasse noch die gesamte Kuchenkarte durchprobieren konnten. Da uns die Liegestühle anschließend nicht mehr losließen, wurde es auch nichts mehr mit einem kleinen Aufstieg zum Platten Joch mit Blick auf den Schottensee und in die Schweiz. Nur Kathrin widerstand dem Liegestuhl und kraxelte noch auf umliegende Berge.

Tübinger Hütte (2191 m)

Juli und Patrick, ein engagiertes junges Paar, haben seit diesem Jahr die Hüttenbewirtung übernommen. Zur renovierten Hütte, Altes harmonisch kombiniert mit neuen Ideen, setzen die beiden auf einen zeitgemäßen Neuanfang und servieren hauptsächlich Bio Produkte. Die Preise waren auf dieser Hütte dafür deutlich teurer, trotzdem hielten wir auch diese Hüttenwirte mit unseren Bestellungen von „Halben“, „Radlern“ und „Viertele“ am Laufen. Aber andere genügsame Wanderer, ausgestattet mit gesunder schwäbischer Sparsamkeit, hängten zum Schrecken der Hüttenwirte den Abend über ihren mitgebrachten Teebeutel in einen Pot heißes Wasser. ;-)

Vor dem Schlafengehen träumten wir uns vor der Hütte mit dem gigantischen Sternenhimmel auf die Milchstraße davon. Selten sieht man bei uns so viele Sterne in unserer lichtverschmutzten Welt.

Der letzte Tag der Tour war ein Glanzlicht, das Adelinde für uns geplant hatte, obwohl wir einige Höhenmeter vom Vortag wieder zurückgehen mussten. Der Erich-Endriss-Weg, benannt nach dem 1. Vorsitzenden der Sektion Tübingen 1959-1972, führte uns über eine traumhafte Gratwanderung. Der DAV Tübingen meint: „Geübte können Madrisella (2.466 m) und Matschuner Köpfe (2.426 m und 2.425 m) leicht mitüberschreiten“, was wir natürlich auch machten.

Die Versettlabahn brachte uns wieder in die Zivilisation nach Gaschurn zurück. Zwetschgenstrudel und Kaffee in Latschau ließen uns den Abschied noch etwas hinauszögern. Bei einem gigantischen Sonnenuntergang, der den Himmel auf unserer Rückfahrt in wechselnde Rottöne tauchte, konnten wir nochmals von unserer wunderschönen Tour träumen.

Touren-Bezeichnung/ Titel Vom Rätikon in die Silvretta
Touren-Nummer BW105
Zeitraum 04. – 07.09.2021
Tourenleiter*in Adelinde Mayer
Teilnehmer*innen Kathrin, Sofia, Dagmar, Philipp, Richard, Friedbert, Renate
Bericht Renate Djuga